Auf dem Weg zur Augmentelligenz
Die Vorstellung, die eigene Intelligenz gezielt zu erweitern, fasziniert die Menschheit seit jeher. Während wir unsere physische Leistungsfähigkeit schon lange mit Maschinen verstärken – vom Kran bis zum Flugzeug –, stehen wir nun an der Schwelle einer neuen Revolution: der Augmentelligenz. Mithilfe künstlicher Intelligenz können Menschen ihre geistigen Fähigkeiten optimieren, schneller lernen, kreativere Lösungen entwickeln und komplexe Probleme effizienter bewältigen. Doch was bedeutet das konkret? Und welche Chancen und Herausforderungen bringt diese Entwicklung mit sich?

Autor: Axel Schultze, CEO von BlueCallom/dcg
Die Erweiterung der menschlichen Physis
Der Nürnberger Trichter ist ein jahrhundertealter Traum, um Wissen in unsere Gehirne zu bekommen. Er ist in gewisser Weise ein Pendant zu Popeyes Spinat und dem Zaubertrank von Asterix, durch die körperliche Grenzen gesprengt werden. Die physischen menschlichen Einschränkungen wurden im Laufe der Zeit immer besser durch Maschinen überwunden. Sie erweiterten unsere körperlichen Möglichkeiten beim Laufen, Fliegen, Schwimmen, Tauchen, Heben usw. Um den Ozean zu überqueren, müssen wir nicht schwimmen, sondern können Boote nutzen. Um die Welt zu umrunden, benötigen wir keine Flügel, sondern nehmen ein Flugzeug. Und um 50 Tonnen 25 Meter hochzuheben, brauchen wir keine gewaltigen Muskelmassen, sondern sitzen in einem Kran und betätigen einen Joystick. Die „Erweiterung“ der Muskeln hat uns enorm leistungsfähig gemacht. Unsere Intelligenz hat es uns ermöglicht, all diese Werkzeuge zu denken, zu entwerfen, zu konstruieren und zu bauen. Die Demokratisierung der Muskelkraft hat die Menschheit wie nichts zuvor verändert.
Die Grenzen der Intelligenz verschieben
Warum sollten wir dasselbe nicht mit unserer Intelligenz tun? Wer der Stärkste ist, spielt heutzutage eigentlich keine Rolle mehr. Nur diejenigen, die ihre Muskelkraft missbraucht haben, haben verloren. Aber als Spezies haben wir gewonnen. Stellen wir uns vor, wir könnten das Gleiche mit unserem Gehirn machen. Auch hier werden nicht die weniger gebildeten Menschen verlieren, sondern diejenigen, die die weniger gebildeten Menschen ausbeuten.
Natürlich sind nicht alle Menschen gleich. Aber wir werden alle mit der gleichen Anzahl von Gehirnzellen geboren. Wir alle verfügen über rund 87 Milliarden Gehirnzellen und 4 Billionen Synapsen und die Fähigkeit, diese Zellen zu extrem leistungsfähigen Netzwerken zu verknüpfen. Manche Menschen sind besonders gut in der Schule und erreichen hohe Positionen in der Wirtschaft. Andere sind Nachzügler, die ihr Gehirn erst in einer späteren Phase ihres Lebens entwickeln. Aber aufgrund unseres Bildungssystems werden sie vielleicht nie ihr volles Potenzial entfalten können. Manchen Menschen fällt es schwer, überhaupt etwas zu lernen, aber sie saugen trotzdem in kürzester Zeit auf, was sie interessiert, und übertreffen auf ihrem Gebiet sogar die meisten Experten. Wir sind also nicht gleich. Aber wir MÜSSEN gleiche Chancen haben.
Augmentelligenz als Schlüsselqualifikation
Menschen können ihre Intelligenz augmentieren, also erweitern. Eine „augmentelligente“ Person muss im Grunde nur eine Sache herausfinden: Was ist mein Talent und was mache ich am liebsten? Die Augmentation der menschlichen Intelligenz kann dabei helfen, im Handumdrehen das Wissen zu erwerben, das man für jede Aufgabe benötigt. Das spielt sich natürlich nicht im eigenen Gehirn ab, sondern mithilfe von KI-Agenten. Offenheit ist hierbei die wichtigste Einstellung, die der Mensch entwickeln muss. Heute ist es die KI, morgen vielleicht die Bioinformatik und übermorgen die menschliche Sensorverstärkung. Die Evolution bleibt nie stehen. Die Augmentelligenz wird in den unterschiedlichsten Bereichen Menschen unterstützen und voranbringen:
- „Normale“ Mitarbeiter: Egal, wie die tägliche Arbeit aussieht, kann sie durch künstliche Intelligenz wesentlich verbessert werden. Augmentelligente Personen verlieren nicht ihren Arbeitsplatz, sondern können viel mehr von dem tun, was ihnen Spaß macht. Und alles, was sie langweilig finden oder was sie ihnen Stress verursacht, kann an eine KI delegiert werden.
- Top-Manager: Hochintelligente Menschen und solche, die ein hohes Maß an Verantwortung tragen und komplexe Situationen bewältigen müssen, können ihre Intelligenz auf ein neues Niveau heben. Sie können lernen, hyperkomplexe Situationen in kürzester Zeit zu lösen. Sie beobachten täglich einen globalen Markt, Kunden, Konkurrenten, Partner, neue Trends und die Wirtschaft und treffen Entscheidungen schneller als „normale“ Menschen es je könnten.
- Künstler: Ein Musiker wird von einem KI-Agenten viel stärker als je zuvor zu einer neuen Musikkomposition inspiriert. Und selbst diejenigen, die noch nie großartige Musik geschaffen haben, können dies nun tun, wenn sie Musik lieben. Maler gelten aufgrund der Dualität von handwerklichem Geschick und schöpferischem Geist als kreativ. Jetzt können auch diejenigen „mitmachen“, die kein handwerkliches Geschick, aber großartige Ideen für ein neues Gemälde haben.
- Forschung: Die Auswertung von Daten ist eine mühsame Aufgabe für intelligente Menschen, aber sie ist Teil des Jobs. Dass man die Vergangenheit verstehen muss, um die Zukunft zu entwickeln, ist nichts Neues. Die eigentliche Arbeit, herauszufinden, was bereits erforscht ist, es dann zu untersuchen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zu finden, kann aber an eine KI delegiert werden. Die Forscher können sich von der KI inspirieren lassen und sich in der gesparten Zeit interessanteren Aufgaben widmen.
Augmentelligent ist ein neues Adjektiv, das die intellektuellen Fähigkeiten einer Person beschreibt, die ihre eigene und künstliche Intelligenz nutzt. Hierzu ist der Zugang zu agenten-basierten KI (Agentic AI) sowie Grundkenntnisse über deren Nutzung notwendig. Da jedoch die Verwendung von Agentic AI so einfach ist wie die Frage „Wie verwende ich Agentic AI?“, ist keine langwierige Ausbildung notwendig – und der Erweiterung der menschlichen Intelligenz steht nichts mehr im Wege.
Autor: Axel Schultze, CEO von BlueCallom