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Unverzichtbar und unterschätzt

Autor/Redakteur: Rainer W. Kaese, Senior Manager, HDD Business Development bei der Toshiba Electronics Europe GmbH/gg

Festplatten gibt es seit mehr als 60 Jahren, allerdings werden sie inzwischen oft mit Geringschätzung betrachtet. SSDs gelten als die modernere und damit bessere Technik. Ein Vorurteil, werden HDDs doch kontinuierlich weiterentwickelt und sind in vielen Bereichen unverzichtbar.

Rainer W. Kaese, Senior Manager, HDD Business Development bei Toshiba Electronics Europe. (Quelle: Toshiba Electronics Europe)

In den vergangenen Jahren sind Festplatten aus den meisten Endgeräten verschwunden – da kann leicht der Eindruck entstehen, der Speicherklassiker sei nicht mehr gefragt oder könne mit aktuellen Anforderungen nicht mehr mithalten. Anbieter von Flash-Speichern vermarkten ihre Produkte als die weit überlegenen, sodass Festplatten inzwischen oft als zu langsam, zu fehleranfällig und zu stromhungrig für moderne Anwendungen wahrgenommen werden, sprich: als Technik von gestern. Dabei sieht die Realität völlig anders aus, denn die Laufwerke mit den drehenden Scheiben sind aus großen IT-Infrastrukturen nicht wegzudenken. Unabhängig davon, ob es um Videostreaming, Online-Shopping, soziale Netzwerke oder Enterprise-Anwendungen geht – der Großteil der Daten liegt auf Festplatten, weil nur sie ausreichend hohe Kapazitäten zu günstigen Kosten bereitstellen.

Das können sie, weil die Technik kontinuierlich weiterentwickelt wurde und wird. Verbesserte Komponenten, Materialien und Aufzeichnungsverfahren sorgen dafür, dass die Speicherkapazität der Laufwerke um etwa zwei TB pro Jahr steigt – bei gleichbleibenden Kosten. So ermöglichte beispielsweise die Umstellung von horizontal auf senkrecht ausgerichtete Bits ab Mitte der 2000er Jahre eine deutlich höhere Speicherdichte, während durch die Füllung mit Helium statt Luft vor rund zehn Jahren dünnere Magnetscheiben eingesetzt werden konnten, sodass mehr davon in ein Gehäuse passen. Zuletzt erhöhte das neue Aufzeichnungsverfahren MAMR (Microwave Assisted Magnetic Recording) die Speicherkapazitäten, indem es den magnetischen Fluss am Schreibkopf mittels Mikrowellen bündelt, wodurch weniger Energie für das Magnetisieren der Bits benötigt wird. In der Folge können die Schreibköpfe kleiner ausfallen und Daten dichter schreiben.

Aktuelle Festplatten bieten dank MAMR eine Speicherkapazität von bis zu 20 TB – etwa doppelt so viel wie vor fünf Jahren. Durch die Weiterentwicklung der Technologie sind nach Einschätzung von Experten mittelfristig bis zu 50 TB pro Laufwerk möglich, sodass Festplatten auch weiterhin die Hauptlast der Datenspeicherung im Informationszeitalter tragen können.

HDDs verbrauchen weniger Strom als gedacht

Die Helium-Füllung kommt indes nicht nur der Speicherkapazität zugute, sondern auch dem Stromverbrauch. Als Gas mit geringerer Dichte als Luft verursacht Helium weniger Reibung an den Magnetscheiben und senkt dadurch den Energiehunger der Laufwerke. Da die meiste Energie für die Bewegung der Spindel mit den Magnetscheiben aufgewendet werden muss, ist der Verbrauch zudem relativ unabhängig von der Speicherkapazität und der Arbeitslast. Bei aktuellen Festplattenmodellen liegt er bei etwa neun Watt – und damit ungefähr auf dem Niveau von SSDs, die genauso viel Speicherplatz bereitstellen und eine ähnliche Datenlast bewältigen müssen.

In der Praxis ist es allerdings kaum sinnvoll, den Stromverbrauch der beiden Medien miteinander zu vergleichen, da sich ihre Einsatzbereiche unterscheiden. Festplatten werden dort genutzt, wo es auf die wirtschaftliche Speicherung großer Datenmengen ankommt, während SSDs überall dort punkten, wo extreme Performance gefragt ist. Dadurch haben Festplatten letztlich beim Stromverbrauch pro Kapazität die Nase vorn – SSDs hingegen dann, wenn der Stromverbrauch auf die übertragene Datenmenge bezogen wird.

Nach einer Datenübertragung können SSDs in einen Ruhemodus wechseln, aus dem sie sich bei Bedarf innerhalb weniger Millisekunden aufwecken lassen. Zumindest im Enterprise-Bereich ist das bei Festplatten in der Regel nicht möglich, weil die Spindel mehrere Sekunden brauchen würde, um wieder anzulaufen. Oft kommt der Ruhemodus von SSDs aber gar nicht zum Tragen, weil die Speicher kontinuierlich Daten aufnehmen oder liefern müssen, beispielsweise als Cache oder bei der Echtzeitverarbeitung von Transaktionen.

Festplatten zählen noch lange nicht zum alten Eisen und tragen in den meisten IT-Infrastrukturen die Hauptlast der Datenspeicherung. (Quelle: Toshiba Electronics Europe)

Die Performance reicht für die meisten Anwendungsfälle

Waren sequentielle Datentransfers lange die Spezialität von Festplatten, so haben Optimierungen an der Firmware in den vergangenen Jahren für einen Leistungssprung auch bei zufälligen Zugriffen gesorgt. Etwa 400 bis 600 IOPS schafft eine aktuelle Enterprise-Festplatte mittlerweile – erheblich weniger zwar als eine SSD, doch da in Speichersystemen mit großer Kapazität üblicherweise viele Laufwerke stecken, lassen sich Anfragen gut parallel abarbeiten. Auf diese Weise können Festplatten die Leistungsanforderungen der meisten Anwendungen problemlos erfüllen, denn ein Storage-Array mit einigen Dutzend HDDs liefert über 10.000 IOPS und mehr als fünf GB/s – und in großen Rechenzentren stehen hunderte oder tausende solcher Arrays.

Reicht deren Performance nicht, genügt es, einige SSDs als Zwischenspeicher zu ergänzen. Das ist deutlich wirtschaftlicher, als die gesamte Storage-Infrastruktur auf SSDs umzustellen. Schließlich kosten diese pro Kapazitätseinheit derzeit ungefähr siebenmal so viel wie Festplatten, und in absehbarer Zeit wird sich daran kaum etwas ändern, da die Kostenkurven beider Speichertechnologien schon seit Jahren mehr oder weniger parallel verlaufen. Zumal die weltweiten SDD-Produktionskapazitäten nicht ansatzweise ausreichen, um die von Menschen, Anwendungen und Maschinen kontinuierlich neu generierten Daten auf Flash-Medien zu speichern.

Die Laufwerke sind äußerst langlebig

Aufgrund ihrer beweglichen Bauteile stehen Festplatten im Ruf, relativ schnell zu verschleißen, tatsächlich fallen sie jedoch nicht schneller oder häufiger aus als SSDs. Die Mean Time To Failure (MTTF) beträgt bei Enterprise-HDDs üblicherweise 2,5 Millionen Stunden und liegt damit über der von vielen Enterprise-SSDs, die oft nur 2 Millionen Stunden erreichen. Zudem lassen sich Festplatten beliebig oft beschreiben und halten sehr lange, wenn sie gut gekühlt werden und Unternehmen die in den Spezifikationen genannte jährliche Arbeitslast (Workload Rating) nicht überschreiten. SSDs unterliegen diesbezüglich Einschränkungen, weil sich die Speicherzellen abnutzen und nur eine begrenze Anzahl von Schreib- oder Löschzyklen verkraften.

Da die Mechanik von Festplatten äußerst zuverlässig ist, nutzen viele Betreiber großer IT-Infrastrukturen die Laufwerke über die fünfjährige Gewährleistung hinaus, ohne dass die Ausfallrate signifikant ansteigt. Diese beträgt – ausgehend von einer MTTF von 2,5 Millionen Stunden – lediglich 0,35 Prozent. Bei 1.000 Laufwerken wären also drei bis vier Ausfälle pro Jahr wahrscheinlich, doch Rechenzentrums- und Cloud-Anbieter verzeichnen in der Praxis häufig niedrigere Werte von teilweise nur 0,1 oder 0,2 Prozent.

Ein Speicher mit Zukunft

Die üblichen Vorurteile gegenüber Festplatten lassen sich leicht entkräften. Der Speicherklassiker ist nicht nur schneller, robuster und stromsparender, als häufig angenommen, sondern dank der kontinuierlichen Weiterentwicklung auch fit für den wachsenden Speicherplatzbedarf in den Unternehmen. Allein im vergangenen Jahr wurden 88 Millionen Enterprise-Festplatten mit einer Gesamtkapazität von 1.021 Exabyte ausgeliefert – ein Vielfaches der im gleichen Zeitraum auf 66 Millionen Enterprise-SSDs ausgelieferten 175 Exabyte.