ArtikelDigitalisierung/Digitale Transformation

Wie sich Ablagen zum „Archiv der Zukunft“ mausern

Autor/Redakteur: Andreas Zipser, Vorstandsvorsitzender, easy/gg

Egal ob Verträge, Rechnungen, Belege oder Personalakten – mittlerweile landet ein Großteil der Dokumente digitalisiert im Archiv. Für Abteilungen bedeutet das höhere Effizienz, Effektivität und Transparenz sowie flexible Workflows. Ein intelligentes Dokumentenmanagementsystem kann aber mehr. Als Startrampe für vorausschauende Analysen und den Einsatz von KI eröffnet das „Archiv der Zukunft“ neue Wege.

Andreas Zipser, Vorstandsvorsitzender easy (Quelle: Andreas Zipser)

Trotz aller Unkenrufe zum Digital-Standort Deutschland schreitet die Digitalisierung voran. Das zeigt sich besonders deutlich beim Dokumentenmanagement. Nach einer Umfrage des Bitkom (Office Index 2022) druckt erstmals die Mehrzahl der Unternehmen weniger auf Papier als zuvor. 72 Prozent aller Unternehmen haben die Briefpost bereits durch digitale Kommunikationsmittel ersetzt. Und immerhin 40 Prozent der Unternehmen nutzen überwiegend elektronische Rechnungsformate.

Vom digitalisierten Dokument zum digitalen Prozess

Ist die Rechnung per Email aber tatsächlich schon „digitale Transformation“? Reicht es, Verträge einzuscannen und in eine Datenbank zu schieben? Unternehmen legen geschäftsrelevante Unterlagen ja nicht erst seit gestern ab. Dafür sorgen schon allein die gesetzlichen Vorgaben gemäß GoBD („Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff“).

Die Digitalisierung im Dokumentenmanagement kann mehr als die Ablage zu vereinfachen. Mehr als Revisionssicherheit und Compliance zu erfüllen und Mitarbeitenden im Bedarfsfall schnell und unkompliziert Zugriff auf relevante Dokumente zu ermöglichen. Diese Aufgaben sind zwar wichtig und richtig. Zum pulsierenden Datenherz wird das Dokumentenmanagement jedoch erst, wenn es gelingt, die archivierten Dokumente intelligent zu verknüpfen und die darin enthaltenen Daten umfassend zu nutzen. Hier sitzen viele Unternehmen auf einem riesigen Wissensschatz, den es aus den Untiefen des Keller- oder Rechencenter-Archivs zu heben gilt.

Archiv der Zukunft: Drei zentrale Bausteine

Tatsächlich baut jedes Unternehmen, das heute automatisierte und cloudbasierte Dokumentenmanagementsysteme (DMS) nutzt, bereits an einem solchen Archiv der Zukunft. In den meisten Fällen beschränkt sich die Archivierung auf einzelne Geschäftsprozesse – wie elektronisches Vertragsmanagement, HR oder Purchase-to-Pay-Prozesse (P2P). Gelingt es, diese Teil-Archive zu einem zentralen Daten- und Wissens-Hub zusammenzufassen, gewinnt das DMS für Unternehmen zukünftig eine neue Dimension.

Zentral für diese Entwicklung sind drei Bausteine: Datenverknüpfung, Cloud und der Einsatz von KI.

Intelligente Datenverknüpfung

Um einen Single Point of Truth (SPoT) zu schaffen, ist das Auflösen von Datensilos unabdingbar. Im Archiv der Zukunft fließen daher geschäftsrelevante Informationen abteilungsübergreifend aus den jeweiligen DMS zusammen – egal, ob es sich um Daten von Kunden, Lieferanten, Mitarbeitenden oder Partnern handelt. Moderne DMS-Lösungen verfügen hier bereits über umfangreiche Features, um die Dokumente automatisch elektronisch zu erfassen, relevante Daten auszulesen und diese zu validieren. Smarte Rechnungsmanagementlösungen beispielsweise unterstützen unterschiedlichste Formate (zum Beispiel PDF, EDI, ZUGFeRD) und können selbst Papierdokumente fehlerfrei einscannen. Auch erste Ansätze von KI und Machine-Learning kommen hier zum Einsatz. So lernen die Systeme mit jedem Scan- und Extrahier-Vorgang und wenden das trainierte Wissen automatisch beim nächsten Dokument an.

Eine wichtige Schlüsselrolle spielt zudem die Integration von Drittsystemen. Dabei werden die aus den Dokumenten ausgelesenen Daten automatisch mit den Stammdaten im ERP- oder CRM-System abgeglichen und mit zusätzlichen Informationen – zum Beispiel mit in einem SAP-System hinterlegten Bestellungen und Wareneingängen – angereichert.

Sowohl das Extrahieren und Validieren der Daten als auch die Einbindung Drittsysteme steigert die Datenqualität und hilft, das Archiv der Zukunft im Sinne des Lean Data Management „schlank“ und effizient zu halten. Im Datenkontext lassen sich dann wichtige Unternehmenskennzahlen erfassen, neue Synergien und Abhängigkeiten aufdecken und Prognosen und Analysen starten.

Das DMS-Archiv entwickelt sich zur Startrampe für die ganzheitliche Digitalisierung (Quelle: Getty Images / easy)

Archivieren in der Cloud

Keine Technologie ist wohl so stark mit dem Thema Digitalisierung verknüpft wie die Cloud. Das Archiv der Zukunft ist hier keine Ausnahme. Nach einer Umfrage von Flexera speichern Unternehmen bereits mehr als die Hälfte der Daten (51 Prozent) in der Public Cloud, Tendenz steigend. Damit scheinen lang gehegte Sicherheitsbedenken in Bezug auf Datenschutz und Cyberkriminalität in der Cloud der Vergangenheit anzugehören. Cloudbasierte DMS-Lösungen greifen mittlerweile auf Hochverfügbarkeits-Server in deutschen Hochsicherheits-Rechenzentren zurück und nutzen die in der Cloud integrierten Sicherheitsmaßnahmen für ein zuverlässiges Identity und Access Management (IAM).

Umso mehr überzeugen die Cloud-Vorteile – darunter die hohe Agilität und Skalierbarkeit bei niedrigeren Kosten, der einfache und ortunabhängige Zugriff auf Dokumente und Daten sowie der zusätzliche Automatisierungs-Boost für effiziente Workflows. Für das Archiv der Zukunft ist die Cloud der Ablageort schlechthin. Denn über einfache Plug-Ins lässt sich das Archiv mit einer Vielzahl bestehender Systeme und Datenbanken verknüpfen. Inhalte stehen vernetzt zur Verfügung und wachsen organisch mit dem wachsenden Business und Datenvolumen. Gleichzeitig bietet die Cloud die nötige Infrastruktur, um schnell und kosteneffektiv riesige Datenmengen zu verarbeiten. Und sie liefert die notwendige Rechenpower, um die Daten im Rahmen von KI, Machine-Learning und Data Analytics zu nutzen. 

KI-Technologien

Dass der Datenpool in der Cloud zum Anwendungsfeld für verschiedene Formen von KI wird, ist da nur die logische Konsequenz. Dabei geht es zukünftig nicht mehr nur darum, Geschäftsprozesse weiter zu automatisieren und zu optimieren. Immerhin lassen sich standardisierte und repetitive Aufgaben schon heute beispielsweise mit Hilfe von Robotic Process Automation (RPA) durchführen.

Im nächsten Schritt soll das Archiv der Zukunft vielmehr als Sprungrampe für gänzlich neue Anwendungen dienen, die über das klassische Dokumentenmanagement hinausgehen. Ein gutes Beispiel ist ChatGPT: Der intelligente Sprachbot hat in den letzten Monaten das Potential intelligenter Dialogsysteme eindrucksvoll unter Beweis gestellt. In ähnlicher Weise können KI-Bots auch im Rahmen der Unternehmenskommunikation zum Einsatz kommen und dort mit Kunden, Lieferanten oder Mitarbeitenden interagieren. Zur Beantwortung der Fragen nutzen die Bots Natural Language Processing (NLP) und greifen auf die Daten des Archivs der Zukunft zurück. Dabei arbeiten die Systeme streng nach aktuellen datenschutzrechtlichen Vorgaben und können, richtig programmiert, sogar den Weg der Daten transparent nachzeichnen (Stichwort: DSGVO).

Einmal vernetzt und abgelegt lassen sich die historischen wie Echtzeit-Daten auch für Data Analytics heranziehen. Vorstellbar sind unter anderem Benchmark-Analysen, die Angebote und Rechnungen von Lieferanten miteinander vergleichen sowie Risikoanalysen von Zulieferern unter Compliance-Gesichtspunkten. Dass sich das Archiv dabei selbst verwaltet, versteht sich in diesem Innovationsumfeld von allein: Die kontinuierlich automatisierte Inventur stellt beispielsweise die Datenqualität und  -Aktualität sicher und löscht nicht mehr benötigte oder redundante Daten selbständig.

Die Digitalisierung des Dokumentenmanagements ist ein gutes Beispiel dafür, was digitale Transformation tatsächlich meint: eine tiefgreifende und stetige Weiterentwicklung, die sowohl Technologien als auch Denk- und Arbeitsweisen eines Unternehmens einschließt. Galt die Archivierung von Dokumenten lange Zeit als wenig aufregende Compliance-Aufgabe, mausert sie sich in Zeiten von KI und Cloud zum vielversprechenden Daten- und Innovationshub. Noch ist das Archiv der Zukunft keine Realität. Wer jedoch zukünftig den Mehrwert seiner archivierter Dokumente im vollen Umfang ausschöpfen will, sollte schon heute die Weichen in Richtung intelligentes, cloudbasiertes Dokumentenmanagement stellen.