Interview zum Thema „Zukunft der Netzneutralität in Europa“
Wir haben ein Interview mit Sven von Loh, Autor und Venture-Capital-Experte, zum Thema „Zukunft der Netzneutralität in Europa“ geführt.
Sysbus: „Vor kurzem hat das Europäische Palament im Rahmen des Telekommunikationspakets Regeln zur Netzneutralität verabschiedet. Diese legen zwar die Netzneutralität prinzipiell fest, erlauben aber so genannte Spezialdienste, über die sich dann aber doch bestimmte Datenübertragungen schneller abwickeln lassen sollen, als andere. Diese Spezialdienste wurden in dem Entwurf nicht genau definiert, in der Politik wurden als Beispiele dafür aber unter anderem Datenübertragungen zu selbstfahrenden Autos und Telemedizin genannt. Was halten sie von dem neuen Gesetz?“
von Loh: „Die Einrichtung einer Art ‚Datenüberholspur‘ für besonders kritische Dienste, etwa im Bereich der Telemedizin oder in der Verkehrssteuerung/Telematik, ist durchaus sinnvoll und dient letztlich auch uns allen. Dass sich die Provider dafür extra bezahlen lassen, ist nachvollziehbar. Allerdings müssen diese Ausnahmen sehr eng gefasst werden.“
Sysbus: „Die Telekom hat bereits kurz nach der Verabschiedung des Gesetzes ein Statement herausgegeben, das die eben genannten Spezialdienste deutlich weiter fasst. Nach Meinung des Telekom-Chefs Höttges gehören zu den Diensten auch Online-Gaming und Videokonferenzen. Außerdem möchte die Telekom mit ein paar Prozent am Umsatz von Startups beteiligt werden, wenn sie diesen Spezialdienste zur Verfügung stellt. Vodafon erklärte gleichzeitig, dass die Überlegungen der Telekom im Prinzip richtig seien. Denken Sie, dass solche Pläne realisierbar sind und welche Auswirkungen werden sie auf den Geschäftsalltag von Unternehmen im Internet haben?“
von Loh: „Ich halte diese Idee für ausgesprochen realitätsfern und gleichzeitig schädlich für die Gründerkultur in Deutschland. Gerade Startups kalkulieren häufig sehr knapp und benötigen die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel für geschäftskritische Bereiche wie Entwicklung, Marketing und Vertrieb. Käme eine solche Abgabe tatsächlich, so hätte dies eindeutig nachteilige Auswirkungen auf den Startup-Standort Deutschland.“
Sysbus: „Welche Auswirkungen des neuen Gesetzes erwarten Sie auf das Endnutzererlebnis im Internet?“
von Loh: „Als problematisch für Endnutzer könnte es sich erweisen, wenn die Provider zusätzliche Wege suchen, Ausnahmen auszudehnen und auszunutzen. Hier sei nur auf die teilweise schon gängige Praxis verwiesen, dass Provider eigene Dienste, etwa im Streaming-Bereich, bevorzugen, indem diese nicht auf das Datenvolumen des Nutzers angerechnet werden. De facto trägt dies Züge einer Wettbewerbsverzerrung.“
Sysbus: „Welche weiteren Auswirkungen wird das Gesetz ihrer Meinung nach noch mit sich bringen?“
von Loh: „Es steht zu hoffen, dass vor allem die Politik begreift, welche immense Rolle die Internet-Infrastruktur und der weitere Netzausbau als wirtschaftlicher Faktor spielen. Wer die Provider beim Netzausbau unterstützt und entlastet, gibt ihnen die Möglichkeit, sich auf innovative Produkte und Services zu konzentrieren, anstatt zusätzliche Einnahmequellen durch die Ausweitung von Spezialdiensten zu erschließen.“